Predigt
von Pater Willibrord Driever OSB,
Missionsbenediktiner in St. Ottilien,
in den Eucharistiefeiern am Zweiten Fastensonntag
(Pfarrkirche St. Michael in Abtsgmünd, 27./28. Februar 2010)
Liebe Brüder und Schwestern!
1. Wenn Sie in diesen Tagen aufmerksam die Tagesschau gesehen haben, dann haben Sie eine Vorstellung von dem Kloster, zu dem ich gehöre und aus dem ich komme: St. Ottilien ist in die Schlagzeilen geraten.
Nicht nur Amerika, nicht nur Irland, nicht nur die Jesuiten in Berlin…, jetzt auch die Benediktiner in Bayern.
Und ich glaube: das ist noch lange nicht das Ende, wir haben noch lange nicht den Abgrund erreicht, es kommt noch schlimmer.
2. Wir können uns dem Phänomen des Missbrauchs unter verschiedenen Aspekten nähern: moraltheologisch, juristisch, aber auch statistisch. Ich möchte Ihnen einige objektive Daten nennen.
Jährlich ca. 19.000 polizeilich gemeldete Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern. 2/3 im sog. sozialen Nah-Raum (Verwandte, Bekannte, Familie, oft durch Vater oder älteren Bruder). SPIEGEL: Knapp 100 Verdachtsfälle von Kindesmißbrauch in katholischen Einrichtungen Deutschlands seit 1995 hat der SPIEGEL zusammengezählt. Der Anteil katholischer Priester und Mitarbeiter (60.000) an der männlichen deutschen Bevölkerung über 21 Jahre (33 Millionen) beträgt knapp zwei Prozent. Verrechnet man die ihnen angelasteten Fälle von Kindesmißbrauch (100) mit den 210.000 deutschlandweit polizeilich gemeldeten Übergriffen seit 1995, beträgt der Anteil der katholischen Täter ganze 0,05 Prozent. Der durchschnittliche deutsche Mann wird mit 36-mal-größerer Wahrscheinlichkeit übergriffig als der katholische Priester.
Allein in Berlin wohnen etwa 10.000 Personen, denen Sexualdelikte aller Art vorgeworfen wurden. Sie machen 0,3 Prozent der Berliner Bevölkerung aus; das bedeutet, dass statistisch ein Angezeigter Sexualstraftäter auf 340 Bürger kommt. Und bei den Angezeigten handelt es sich nicht um Priester.
Soweit die Fakten. Diese statistischen Bemerkungen sollen nicht das Phänomen des Missbrauchs in der Kirche bagatellisieren, sondern nur kontextualisieren.
3. Die Kirche wurde immer geprüft, von außen und von innen. Die härtesten und demütigendsten Prüfungen der Kirche sind immer die, welche aus ihrem Inneren hervorgehen, und das insbesondere dann, wenn einige Männer der Kirche, die durch die Weihe in einen besonderen Dienst hineingenommen sind, in verdammenswerte Handlungen verwickelt sind.
Durch die (global betrachtet) millionenfachen Übergriffe werden Kinderseelen gemordet, wird entsetzliches Leid angerichtet. Das ist besonders schlimm, wenn Priester daran beteiligt sind.
Die Stürme, die die Kirche wegen der Sünden ihrer Mitglieder heimsuchen, können Angst machen. Die schlimmsten Stürme sind die, die den Gläubigen ans Herz gehen, die den Gläubigen den Glauben rauben und die das Vertrauen in Gott untergraben, die die Gläubigen aus der Kirche hinaustreiben.
4. Schauen wir noch einmal in unsere säkulare Umwelt: Angeblich will der Gesetzgeber durch seine Gesetzgebung seit Jahren das Leben schützen; tatsächlich aber wird die Abtreibung immer mehr vereinfacht, und die Zahlen der Abtreibungen nehmen zu. Die Produktion und der Konsum von Pornographie ist legalisiert. Der schulische Aufklärungsunterricht ist mehr eine Verführung zur Unkeuschheit als eine Hilfe, mit der gottgeschenkten Gabe der menschlichen Geschlechtlichkeit in einer menschenwürdigen Weise umzugehen. Das, was Gott Sünde nennt, wird in der Gesellschaft als lebenswert propagiert. Und gleichzeitig entrüstet sich diese Gesellschaft über die Sünden der Priester, die in viel größerem Umfang von Nicht-Priestern begangen wird.
5. Ich bin überzeugt, dass in diesen Wochen viele Katholiken sagen: „Das soll die heilige Kirche sein?!“ – „Mit diesem verrotteten Haufen will ich nichts zu tun haben, ich nehme jetzt endgültig meinen Abschied.“ Das erinnert mich irgendwie an die Pharisäer.
Ich möchte dann fragen: Was suchst du denn? Suchst du eine Kirche der moralisch Perfekten, der Super-Christen? Wo sollte diese Kirche denn sein? Bist du denn moralisch so perfekt, bist du denn ein solcher Super-Christ, dass du in eine solche Kirche hineingehören würdest? Und wenn es eine solche Kirche gäbe: Glaubst du, du würdest da aufgenommen werden?
5. Und die Heiligkeit der Kirche besteht nicht in der moralischen Perfektion ihrer Mitglieder bzw. ihrer Amtsträger. Die Kirche ist nicht deswegen heilig, weil ihre Mitglieder so anständig wären. Heiligkeit der Kirche bedeutet: daß Gott den Menschen in der Taufe heiligt. In der Taufe schenkt Gott dem Menschen seine heiligmachende Gnade (Gnade der Rechtfertigung), indem Gott dem Täufling seine Heiligkeit eingießt, gratis, und ihn solchermaßen heiligt. Die Getauften sind also die durch die Heiligkeit Gottes Geheiligten und als solche bilden sie die Kirche, und das ist die Heiligkeit der Kirche. Das ist die Taufgnade. Und damit ist auch eine Aufgabe gegeben: die Berufung, das ganz normale christliche Leben zu gestalten nach den Weisungen des Evangeliums in den Bereichen, wo Gott sie hingestellt hat. Aber eben aus der Kraft der Taufgnade.
6. Ausgerechnet im Priester-Jahr brechen diese Skandale auf. Hier leuchten mehrere Geheimnisse auf: Das Geheimnis Gottes. Gott erwählt nach seinem Ratschluß, nicht nach äußerem Augenschein oder nach dem, was wir für würdig erachten.
Krasser kann uns das Mysterium des Priestertums nicht vor Augen geführt werden: Gott beruft nicht nach Würdigkeit, sondern gemäß seiner Erwählung. Und das ist Sein Geheimnis. JEDER von Gott zum Priestertum berufene Mann ist unwürdig, es ist Gottes Geheimnis, warum er gerade diese Männer beruft.
Und noch etwas wird deutlich: das Geheimnis Jesu Christi. Der historische Jesus von Nazareth hatte, rein äußerlich betrachtet, auch nichts besonderes an sich. Darum taten sich die Jünger auch so schwer, das gott-menschliche Persongeheimnis Jesu zu begreifen. Im heutigen Evangelium von der Verklärung Jesu wird deutlich, dass in diesem Jesus von Nazareth noch mehr und Anderes ist: nämlich seine Göttlichkeit. Diese hat Gott den Augen der Jünger für einen kurzen Moment aufleuchten lassen.
Und das ist auch das Geheimnis der Kirche: sie hat eine Außen-Ansicht: Ämter, Menschen, Verwaltung, Organisation…, und eine Innen-Sicht: das ist der in der Kraft des Heiligen Geistes in der Kirche fortlebende Christus; das ist die in ihr aufbewahrte Gnade, die Gott der ganzen Menschheit durch die Kirche und ihre Mission und Evangelisierung zudienen will: kurz, ihre Heiligkeit.
Und wir alle verdunkeln durch unsere Sünden die Heiligkeit der Kirche, wir alle verdunkeln durch unsere Sünden das Erscheinungsbild der Kirche in der Welt. Wir müssen alle und immer an unsere Brust schlagen und Gott um Vergebung bitten.
Im Credo bekennen wir: Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Dann sollen wir daran denken, was Heiligkeit bedeutet, und wir sollen Gott danken für die Gnade, zu dieser Kirche gehören zu dürfen.
7. Wir sind in der Fastenzeit, in der österlichen Buß-Zeit, wir gehen auf Ostern zu. DIE Feier von Ostern: das ist die Osternacht, in der wir das Wasser weihen und unser Taufversprechen erneuern. Das soll nicht wieder ein Ritus werden, der an uns vorbeirauscht und der vorüber ist, bevor wir recht begriffen haben, was wir da getan haben.
Bei unserer Taufe waren wir unmündig, damals haben unsere Eltern und Paten für uns den Glauben bekannt und das Taufversprechen abgelegt. In der Osternacht hast du die Gelegenheit, ganz persönlich dein Taufversprechen zu erneuern, zu ratifizieren, deine Unterschrift zu geben. Nur du, ohne Stellvertretung.
Das ist Übergabe deines Lebens an deinen Herrn. Das ist deine Erlaubnis an den Heiligen Geist, in die wirken zu dürfen. Dann kann Christus bzw. der Heilige Geist alle deine natürlichen Fähigkeiten von Selbstbezogenheit reinigen und läutern und in Dienst nehmen, dann brechen deine Charismen auf. Dann wird Kirche lebendig.
Dann begreifen auch die Eheleute, was Ehesakrament bedeutet: dann fangen sie an, gemeinsam zu beten, auch mit den Kindern. Dann werden die Familien zu dem, was das Konzil von den Familien gesagt hat: sie sind „Kirche im kleinen“. Dann werden auch die Familien zu den ersten Priesterseminaren.
Die Christen wünschen sich gute Priester. Wo sollen die denn her kommen? Die fallen doch nicht vom Himmel! Wo wird denn noch in den Gemeinden um Priesterberufe und um deren Heiligung gebetet? Die Berufungen müssen doch aus unseren Gemeinden hervorgehen, die können doch nicht immer von Indien oder aus Polen kommen!
Wir brauchen heilige Ehen, heilige Familien, in denen geistliche Berufungen von den Kindern erkannt werden können, wo die Jugendlichen auf ihrem Berufungsweg bestätigt, ermutigt werden.
8. Ich bin überzeugt: was wir in diesen Wochen erleben ist providentiell. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Gott am Werk ist. Gott ist dabei, seine Kirche zu erneuern. Und das geschieht durch Aufdeckung und Buße. Wie würde es in der Kirche weitergehen, wenn diese Fälle weder in Amerika noch in Irland noch in Deutschland aufgedeckt worden wären! Die Sünde würde weiter schwären am Leib der Kirche. Nun ist Gott dabei, die Decke der Verschwiegenheit von den Sünden runterzureißen; damit die Kirche sich bekehrt und erneuert. Gott erneuert seine Kirche. In diesem Sinne dürfen wir froh darum sein, was jetzt geschieht.
Donnerstag, 4. März 2010
Missbrauch: Skandal und Erneuerung
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