In der Diözese Rom
und in allen anderen Ortskirchen der Welt wurden in den Kathedralen und in
besonderen dafür ausgewählten Kirchen am 13. Dezember 2015 „Heilige Pforten“
geöffnet. In der Verkündigungsbulle Misercordiae
Vultus hat Papst Franziskus Sinn und Bedeutung des „Außerordentlichen
Jubiläums der Barmherzigkeit“ erläutert, ein Text, den es zu lesen lohnt.
Vielleicht möchten verschiedene Gruppen der Gemeinden in diesen Monaten eine
Wallfahrt zur Kathedrale oder zu der vom Ortsbischof ausgewiesen Kirche
unternehmen. Es ist sinnvoll, eine solche Unternehmung von Anfang an als eine
geistliche Pilgerfahrt vorzustellen, vorzubereiten und als solche zu begleiten.
Nach dem Wunsch des Papstes sollen diese Wallfahrten drei Elemente enthalten,
die Feier des Sakramentes der Versöhnung, die Feier der Eucharistie und eine
Reflexion über die Barmherzigkeit Gottes. Dazu sollen hier einige Anregungen
für Katechese und Predigt gegeben werden.
1. Die
Heilige Pforte als Symbol
Die
„erste“ Heilige Pforte ist das für uns am Kreuz geöffnete Herz Jesu. Alle haben
immer Zugang zur Barmherzigkeit Gottes. In den Jubiläumsjahren zuvor wurde nur
in Rom eine Heilige Pforte geöffnet. Jetzt ist dieser Brauch ausgeweitet auf
alle Ortskirchen, damit alle Gläubigen diese geistliche Erfahrung machen
können. Es handelt sich um ein sehr aussagestarkes Symbol.
·
Die Pforte als Ort, der durchschritten
wird.
Drei
Schritte: A) Wir gehen aus von unserer konkreten Lebenswirklichkeit. B) Wir
rechnen mit der Möglichkeit von Veränderung. C) Wir rechnen damit, dass es
„hinter der Pforte“ (jenseits unserer Erfahrung) neue Möglichkeiten geben
könnte, überraschende Entdeckungen, die wir bisher noch nicht erkundet haben.
Einige Beispiele: jener barmherzige Gott, den wir bisher nicht erfahren
konnten, weil eine falsche religiöse Sozialisation dies verhinderte und wir
unsere negativen Schlüsselerfahrungen und irrigen Gottesbilder auf den wahren
und lebendigen Gott übertragen und uns damit den Zugang zu ihm verstellt
hatten. Oder die Erneuerung des Eheverpsrechens nach einer Zeit, in der die
beiden es schwer miteinander hatten. Vielleicht kann es – nach jahrelanger
Abstinenz aufgrund negativer Beicht-Erfahrungen mit inkompetenten
Beichtpriestern – zu einer ganz neuen Entdeckung jenes Sakramentes kommen, mit
dem Gott ununterbrochen uns seine Barmherzigkeit zudienen will. „Seid
vollkommen, d. h. seid barmherzig, wie es auch euer himmlischer Vater ist!“
(vgl. Mt 5,48). Nachdem wir die von Gott her ungeschuldete und von uns her
unverdiente Barmherzigkeit erfahren haben, können wir entdecken, dass auch wir
uns auf einen Prozess der Vergebung auf tiefer Ebene einlassen und mit dem
Herzen, nicht nur mit dem Willen, allen unseren bekannten und unbekannten
„Feinden“ vergeben, d. h. allen, denen wir etwas vorzuwerfen haben, allen, die
uns etwas angetan haben oder von denen wir glauben, sie hätten uns etwas angetan.
Und das „funktioniert“ auch über den Tod hinaus; denn selbst der Tod ist keine
Grenze für unsere Barmherzigkeit.
·
Das Durchschreiten der Pforte lädt zu
neuen Haltungen ein: Wir nehmen Abschied von geistlicher Selbstgenügsamkeit
oder gar Verhärtung und erbitten Erneuerung: z. B. eine besondere Gnade, oder
eine neue Beziehung zu Gott Vater und zu den Mitmenschen. Unsere antwortende
Liebe zu dem, „der uns zuerst geliebt hat“ (1 Joh 4,10), lässt uns bewusst
werden, wie sehr wir geliebt sind und wieviel uns geschenkt ist. Wir erkennen,
wie sehr wir den Urheber unseres Lebens aus unserem Leben hinausgedrängt haben.
Es keimt der Wunsch, IHN nun zum Mittelpunkt und zum Zielpunkt unseres Lebens
zu machen.
· Nach dem Durchschreiten der Heiligen
Pforte sind wir eingeladen, uns im Gebet zu sammeln und die letzten, inneren
Schritte des Pilgerweges zu gehen; dazu bedarf es eines aufnahmebereiten
Herzens, damit die Gnade Früchte tragen kann. Wir sprechen das
Glaubensbekenntnis und ein Gebet für den Papst und seine Anliegen. Letzteres
ist zumindest ein Vaterunser, es sollte aber nach Möglichkeit mehr als das
sein. Im Geiste dieses besonderen Heiligen Jahres bietet sich das von Papst
Franziskus eigens verfasste Gebet an. Zum Abschluss dieser persönlichen Gebets-
und Betrachtungszeit bietet sich die Anrufung der göttlichen Barmherzigkeit an,
beispielsweise mit dem Satz “Barmherziger Jesus, ich vertraue auf Dich”.
·
Die Pforte ist immer offen.
Die
Öffnung und Schließung der „Heiligen Pforte der Barmherzigkeit“ könnte den
Trugschluss nahelegen, als gäbe es in diesem Jahr eine besondere oder mehr
Barmherzigkeit als vorher und nachher. Das stimmt nicht. Sondern dieses
Jubiläumsjahr soll uns bewusst machen, dass es so etwas gibt wie
Barmherzigkeit, die wir aber entweder falsch verstehen oder nicht wahrhaben
wollen.
2. Missverstandene
Barmherzigkeit
Falsch
verstandene Barmherzigkeit als ein Nicht-ernstnehmen von schuldhafter Realität,
z. B. „Nun wollen wir mal «die Fünf gerade sein lassen»“, „Schwamm drüber,
vergessen wir’s“, oder Barmherzigkeit als die große Generalamnestie, bis hin
zur Rechtfertigung ungeordneter Lebensverhältnisse oder zur Aussetzung von
gültigen Aufnahmekriterien bei der Auswahl von Nachwuchs in den
Ordensgemeinschaften mit dem Hinweis, wir seien ja schließlich im Jahr der
Barmherzigkeit. Das Nicht-wahrhaben-wollen von Barmherzigkeit zeigt sich im
Unschuldswahn, wofür der Zusammenbruch der Beichtpraxis ein Beweis ist. Sind
wir schon alle so vollkommen in der Nachfolge Jesu, oder ist uns aufgrund
mangelnder Katechese oder falscher Beichtvorbereitung die Sündenerkenntnis abhandengekommen?
Da empfiehlt sich die Lektüre GL 593 (Das Sakrament der Buße und der
Versöhnung).
3. Was
Barmherzigkeit ist
Überraschend:
Barmherzigkeit ist etwas, was wir eigentlich gar nicht hören wollen, weil sie
unsere pastorale Behaglichkeit und Wohlfühl-Mentalität stört. Gottes
Barmherzigkeit ist nämlich nur zu verstehen als die Kehrseite des gerechten Zornes
Gottes, von Gericht und Strafe, gewollt und ausgelöst durch unsere Sünden (Lk
13,1-9; Joh 3,36; Röm 1,18-32; 2,1-11; Eph 5,6; Kol 3,6). Damit aber haben wir
gründlich aufgeräumt. Also kann es auch keine richtig verstandene
Barmherzigkeit geben. Aber erst, wenn wir (auf dem Hintergrund des Gottesbildes
eines uns liebenden Vaters) die Abscheulichkeit unserer Sünde und die
Schrecklichkeit ihrer Folgen („Sündenstrafen“) erkennen, diese Gott bekennen
und um Vergebung bitten, dann erst können wir auch seine Barmherzigkeit nicht
nur erkennen, sondern erfahren. Wo wir aber unsere Sünden verleugnen,
schönreden, bagatellisieren oder sogar rechtfertigen, da erfahren wir
vielleicht eine Form von Gewissensberuhigung, aber niemals die Barmherzigkeit
Gottes. Gericht und Barmherzigkeit Gottes sind zwei Seiten einer Medaille
(siehe dazu: Misericordiae Vultus 20,
21). In dem Augenblick, da ich die Erkenntnis meiner Sünde zulasse, erfahre ich
gleichzeitig und sofort die Barmherzigkeit Gottes als das Gegenteil seines Zornes,
den ich gerechterweise verdient habe. Das ist die Wahrheit des Sprichwortes:
Gnade vor Gericht ergehen lassen. Es ist zu befürchten, dass – wenn wir nicht
zu diesen verdrängten Wahrheiten vorstoßen – das „Jahr der Barmherzigkeit“ zu
einem liturgisch festlich inszenierten und grandiosen kirchlichen Selbstbetrug
wird.
4. Unterscheidung:
echte und falsche Schuldgefühle
Schuldgefühle
haben keinen guten Ruf, sie stehen unter Generalverdacht und darum ist es am
besten, sie gar nicht zu haben. Irrtum. Echte Schuldgefühle verweisen mich auf
eine echte Schuld, die ich sehr konkret in Raum und Zeit festmachen kann und
die ich auf mich geladen habe. Echte Schuldgefühle machen mich auf meine Sünde
aufmerksam, führen mich zur Reue und zum Bekenntnis und treiben mich damit
direkt in die Arme des Barmherzigen Vaters und damit in die Besserung. Echte
Schuldgefühle führen von mir weg und in den Lobpreis: Mein Gott, wie gut bist
du!
Falsche
Schuldgefühle lassen sich nicht an einer konkreten, persönlichen Schuld
festmachen, sondern haben damit zu tun, dass mir diese Schuldgefühle eingeredet
worden sind und als „strenger innerer Richter“ mein Selbstbild bestimmt.
5. Unterscheidung
„sich schuldig fühlen“ – „schuldig sein“
So
kann man sich schuldig fühlen, ohne schuldig zu sein. Falsche Schuldgefühle
sind auch daran zu erkennen, dass sie mit zwar heftiger, aber fruchtloser
Selbstanklage einhergehen, wobei der Mensch um sich selbst kreist: Wieso bin
ich so schlecht?! Hier wäre die Beichte kontraproduktiv, weil dadurch der
Beichtende in seiner irrtümlichen Selbsteinschätzung bestätigt würde; sondern
hier geht es mehr um Heilung der negativen Erfahrungen und Erinnerungen.
6. Ablass
Zum
Jubiläumsjahr gehört der Ablass (siehe Misericordiae
Vultus 22). Es ist nicht sinnvoll, aufgrund protestantischer
Missverständnisse oder falscher ökumenischer correctnes diese richtig verstandene katholische Wahrheit zu
verschweigen. Um den Ablass als das zu verstehen, was er ist, müssen wir
„Sünde“ und „Sündenstrafen“ unterscheiden. Schon beim Begriff „Sündenstrafen“
stellen sich katastrophale Missverständnisse ein, wir denken sofort an die
Strafen, die uns nach begangener Untat auferlegt wurden. Genau darum geht es
aber nicht. Bei den sog. „Sündenstrafen“ handelt es sich um die den Sünden
innewohnenden Folgen. Gott vergibt die Sünden aufgrund der Reue. Die
Sündenstrafen/Folgen können nicht vergeben werden, sondern die müssen
„abgearbeitet“ werden, hier oder „drüben“ (Fegfeuer). Hier können wir das tun
durch das bereitwillige Ertragen von „Kreuz und Leid“, an dem es ja gewöhnlich
nicht fehlt. Dabei kommt uns die Kirche zu Hilfe. „Der Ablaß wird gewährt durch
die Kirche, die kraft der ihr von Jesus Christus gewährten Binde- und
Lösegewalt für den betreffenden Christen eintritt und ihm den Schatz der
Verdienste Christi und der Heiligen zuwendet, damit er vom Vater der
Barmherzigkeit den Erlaß der für seine Sünden geschuldeten zeitlichen Strafen
erlangt. Auf diese Weise will die Kirche diesem Christen nicht nur zu Hilfe
kommen, sondern ihn auch zu Werken der Frömmigkeit, der Buße und der
Nächstenliebe anregen“ (KKK 1478). Den Ablass können sogar die Gefangenen
erlangen in den Gefängniskapellen und jedes Mal, wenn sie durch die Tür ihrer
Zelle gehen und dabei ihre Gedanken und ihr Gebet an Gottvater richten, so Papst
Franziskus in seinem Brief an den Präsidenten des Päpstlichen Rates für die
Förderung der Neuevangelisierung Erzbischof Fisichella.
7. Klarstellung
Am
13. Dezember berichtete die „Tagesschau“ von der Öffnung der Heiligen Pforte im
Liebfrauendom zu München durch Erzbischof Reinhard Kardinal Marx und
kommentierte: „Dem Gläubigen, der durch eine solche heilige Tür geht, werden
nach katholischem Glaubensverständnis Schuld und Sündenstrafen erlassen“. Das
klingt nach Automatismus und Magie, als ob es „billige Gnade“ gäbe, ohne
persönliche Umkehr und Bekehrung. Aber so einfach ist das nicht.
Die
Gewinnung des Ablasses ist an einige Bedingungen geknüpft. Der Gläubige muss
sich im Stande der Gnade befindet (nach gültiger Beichte). Außerdem muss er
frei sein von jeglicher Anhänglichkeit an die Sünde, auch die lässliche (was
selten erwähnt wird, aber schon ein inneres Moment jeder gültigen Beichte ist).
Er muss seine Sünden sakramental beichten. Er muss die Heilige Messe mitfeiern
und die Heilige Eucharistie empfangen und nach der Meinung des Papstes beten.
Also alles andere als „billige Gnade“. Wenn die alten und kranken Menschen, die
das Haus nicht verlassen können, Krankheit und Leid als Erfahrung der Nähe des
Herrn mit Glauben und Hoffnung als Moment der Prüfung leben und die Kommunion
empfangen, wird dies für sie die Weise sein, den Jubiläumsablass zu gewinnen,
so Papst Franziskus.
Fazit
Das Jahr der
Barmherzigkeit ist eine Chance für die Erneuerung der Kirche; diese ereignet
sich jedoch nur insofern, als sich einzelne auf einen Prozess der Bekehrung
einlassen. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, persönliche Schuld
anzuerkennen; dann erst kann die Barmherzigkeit Gottes zur Erfahrung werden.
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